Anhang D: Die Schlacht bei Idistaviso
Der römische Schriftsteller Tacitus liefert in den Annalen II folgende Informationen über die Schlacht bei Idistaviso:
Germanicus plante im Sommer 16 n. Chr. für den Angriff auf die Cherusker, die Legionen per Schiff zu transportieren, um so den Überraschungseffekt nutzen zu können. Sammelpunkt des Heeres war die Gabelung von Rhein und Waal. Der Treffpunkt von den per Schiff transportierten Legionen und der Reiterei war die Emsmündung. Während des Marsches in Richtung der Cherusker trennten sich die angrivarischen Hilfstruppen vom Tross. Die Römer trafen an einer seichten Stelle der Weser bzw. einer Weserfurt auf das germanische Heer, welches auf der östlichen Seite der Weser lagerte. Am nächsten Tag hatten sich die Germanen sich am östlichen Weserufer zur Schlacht aufgestellt. Die die römische Reiterei und batavische Hilfstruppen überquerten die Weser, und es kam zu einem ersten Gefecht. Die Cherusker täuschten eine Flucht vor und lockten batavischen Hilfstruppen in eine von waldigen Höhen umgebenen Ebene, wo sie umzingelt wurden und schwere Verluste erlitten. Nach dem ersten Gefecht überquerte das gesamte römische Heer die Weser und bewegte sich zu einem Ort, welcher der Elbe näher war als dem Rhein. Im Folgenden stellten sich die Germanen in der Ebene von Idistaviso zum Kampf. Die Ebene von Idistaviso lag zwischen Weserschleifen und einer Hügelkette, in der Ebene gab es ein Waldgebiet. Ein Teil des germanischen Heers ging in der offenen Ebene und in dem Waldgebiet in Stellung, die Cherusker hatten die Hügelkette besetzt, um die Römer aus einer erhöhten Position heraus anzugreifen. Das römische Heer bewegte sich in die Ebene, um dann aus der Ordnung des Zuges heraus anzugreifen. Die von den Hügeln herabstürmenden Cherusker wurden von der römischen Reiterei in der Flanke und im Rücken angegriffen. Das restliche germanische Heer bewegte sich scheinbar planlos zwischen dem offenen Feld und dem Waldgebiet. Das Schlachtfeld war 10 000 Schritte (ca. 15 km) lang.
Tacitus beschreibt im Weiteren einen ebenso mühelosen wie überwältigenden Sieg. Kurze Zeit später bei der Schlacht am Angrivarierwall brachte das germanische Heer den Römern jedoch beinahe eine Niederlage bei, was eine schwere Niederlage der Germanen bei Idistaviso und die damit verbundene Schwächung des Heeres als unwahrscheinlich erscheinen lässt. Wahrscheinlicher erscheint ein vorgetäuschtes Gefecht mit einer Scheinniederlage der Germanen, welches die Römer zum Verfolgen des scheinbar geschlagenen germanischen Heeres animieren sollte, um die Römer dort hinzulocken, eben zum Angrivarierwall.
Der Verlauf der Schlacht
Ausgangspunkt der Schlacht bei Idistaviso, die, wie die weiteren Ausführungen zeigen, nur im Zusammenhang mit der Schlacht am Angrivarierwall gesehen werden kann, ist die Emsmündung im Gebiet des heutigen Leers. Eventuell steht auch der Fundplatz Bentumersiel im Zusammenhang mit Germanicus‘ Feldzug des Jahres 16. Von hier aus zog Germanicus‘ Heer in Richtung der Cherusker, deren Siedlungsgebiet zwischen Weser und Harz lag. Das westliche Siedlungsgebiet der Cherusker und somit das für die Römer am schnellsten zu erreichende Ziel war das Weserbergland. Die kürzeste Verbindung zwischen der Emsmündung und dem Weserbergland führt über Minden, weshalb die Römer die Weserfurt bei Minden für die Überquerung der Weser in Richtung Osten nutzten. Auf dem Weg von der Wesermündung nach Minden setzen sich die angrivarischen Hilfstruppen vom Heer ab, wie die weiteren Ausführungen zeigen in Richtung Kalkriese, wo ab diesem Zeitpunkt mit dem Bau des Angrivarierwalls ein Hinterhalt für die Römer vorbereitet wurde.
Abb. D-1: Schlacht bei Idistaviso, der römische Heerzug marschiert zur Weser (blau), die angrivarischen Hilfstruppen fallen vom Heerzug ab (orange)
Die Römer erreichen die Weserfurt bei Minden, und es kam zu einem ersten Gefecht zwischen Römern und Germanen, welche sich am nächsten Tag am östlichen Weserufer zur Schlacht aufgestellt hatten. Germanicus schickte die römische Reiterei und batavische Hilfstruppen unter ihrem Anführer Chariovalda zum Angriff über die Weser. Die Cherusker täuschten daraufhin eine Flucht vor, und lockten die die Verfolgung aufnehmenden Bataver auf diese Weise in eine von waldigen Höhen umgebene Ebene. Die einzige in Marschdistanz liegende und von Höhenzügen umgebende Ebene liegt bei Bad Eilsen, zwischen den Höhenzügen Harrl und Bückeberge im Norden und dem Wesergebirge im Süden. In der Ebene bei Bad Eilsen wurden die Bataver von den Cheruskern umzingelt und erlitten schwere Verluste, bis ihnen die römische Reiterei zur Hilfe kam.
Abb. D-2: Schlacht bei Idistaviso erstes Gefecht, römisches Heer (blaues Rechteck), germanische Schlachtaufstellung (rote Dreiecke), Angriff der römischen Reiterei (blau), Angriff der Bataver (türkis), Scheinrückzug der Cherusker und Umzingelung der Bataver (rot)
Nach dem ersten Gefecht überquerte das gesamte römische Heer die Weser. Im Folgenden erklärte Germanicus in einer Rede an das Heer, dass man einen Ort erreicht habe, der der Elbe nähe war als dem Rhein. Daraus lässt sich ableiten, dass die Römer von der Weser aus zunächst weiter nach Osten in Richtung Elbe zogen, also ungefähr in Richtung Hildesheimer Börde, einem landwirtschaftlich ertragreichen Gebiet, wo ggf. auch zusätzlicher Proviant requiriert werden konnte. Von diesem weit östlich gelegenen Ort führte Germanicus das Heer in die Ebene von Idistaviso, wo sich die Germanen erneut zum Kampf gestellt hatten. Gemäß Tacitus lag Ebene von Idistaviso zwischen Weserschleifen und einer Hügelkette, und in der Ebene gab es ein Waldgebiet. Der einzige Ort, auf den diese Beschreibung zutrifft ist die Weserniederung zwischen Hessisch Oldendorf und Rinteln, welchen die Römer von Osten über das heutige Hameln kommend erreichten. Tacitus erwähnt außerdem ein Waldgebiet, welches sich im Rücken des Heerzuges befand. Da die Niederung mit hoher Wahrscheinlichkeit für Land- oder Weidewirtschaft genutzt wurde, hat das Waldgebiet sich im Bereich der Hügel des heutigen Naturschutzgebietes Heineberg befunden. Der Großteil des germanischen Heeres bezog also in der Flussniederung zwischen Rinteln und dem Heineberg Stellung, die Cherusker positionierten sich entlang der Hügelkette des Wesergebirges, um aus dieser erhöhten Position heraus angreifen zu können.
Abb. D-3: Schlacht bei Idistaviso Ausgangsstellung, römischer Heerzug (blau), Stellungen der Cherusker (Orange), übrige germanische Stellungen (rot)
Die Schlacht bei Idistaviso begann, die Römer griffen aus der Marschkolonne heraus an, und sofort hatten die Römer scheinbar die Oberhand. Die Kampfhandlungen der Germanen waren anscheinend orientierungslos, die Germanen wechselten ohne erkennbaren Zweck ihre Stellungen, und viele setzten sich über die Weser ab. Tacitus berichtet von vielen getöteten Germanen, wie oben angesprochen stand den Römern kurze Zeit später am Angrivarierwall aber wieder ein kampfstarkes germanisches Heer gegenüber, die Verluste der Germanen müssen sich daher in Grenzen gehalten haben. Das von Tacitus geschilderte Szenario und die begrenzten Verluste der Germanen lassen daher auf ein Ablenkungsmanöver schließen. Bei diesem Ablenkungsmanöver hatte Arminius mit den Cheruskern den schwierigsten Part übernommen, da sie die römische Marschkolonne durchbrechen mussten, um sich danach ebenfalls über die Weser absetzen zu können. Zudem wurden die Cherusker von der römischen Reiterei umfasst. Tacitus berichtet entsprechend auch dass Arminius in heftige Kämpfe verwickelt war, u. U. haben aber chaukische Hilfstruppen im römischen Heerzug den Cheruskern das Durchbrechen der römischen Linien erleichtert.
Abb. D-4: Schlacht bei Idistaviso, Angriff der Römer aus der Marschkolonne heraus (blau), Scheinangriffe der Germanen und Rückzug über dier Weser (rot), Umfassung der Cherusker durch die römische Reiterei (türkis), Durchbruch der Cherusker durch den römischen Heerzug und Rückzug über die Weser (orange)
Für die Zeit nach der Schlacht bei Idistaviso berichtet Tacitus von weiteren germanischen Störangriffen auf den römischen Heerzug, und dass die Germanen das nächste Schlachtfeld aussuchten. Die Germanen dirigierten also den örtlichen Verlauf der weiteren Kampfhandlungen, und lockten den römischen Heerzug entlang des Hellwegs unter dem Berg so zu einer gut vorbereiteten Falle: dem Angrivarierwall (s. Anhang E).
Abb. D-5: Germanische Störangriffe (rot) nach der Schlacht bei Idistaviso dirigieren den römischen Heerzug (blau) zum Angrivarierwall bei Kalkriese (rote Markierung)