Anhang A: Die Varusschlacht zwischen Paderborner Hochfläche und Haarhöhe
Anm.: Wer sich nicht gleich durch den ganzen Anhang A durcharbeiten möchte (wofür der Verfasser auch irgendwie Verständnis hat) findet hier eine kurze Zusammanfassung der wichtigsten Informationen des Anhangs.
A.1 Die für die Lokalisierung der Varusschlacht zur Verfügung stehenden Informationen
Ansatzpunkt für die Lokalisierung der Varusschlacht bzw. der Schlacht im Teutoburger Wald ist die in den vorausgehenden Kapiteln beschriebene Infrastruktur der Provinz Magna Germania. Insbesondere die Lokation des Legionslagers Aliso im heutigen Unna ist ein wichtiges Indiz für den Ort der Schlacht.
Da die Überlebenden der Varusschlacht nach Aliso flüchteten, muss sich Aliso auf der Strecke zwischen dem Ort der Schlacht und dem Rhein befunden haben, möglichst direkt westlich des Schlachtfeldes, da diese Richtung die kürzeste für eine Flucht zum Rhein war. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass der Ort der Varusschlacht östlich von Unna liegt. Hätte dieser Ort weiter nördlich oder weiter südlich gelegen, wäre es von dort aus der Rhein näher gewesen als nach Unna, und die Flucht nach Aliso/Unna wäre ein Umweg gewesen.
Abb. A.1-1: Für die Lokation der Varusschlacht in Frage kommendes Gebiet (blau) östlich von Aliso/Unna (gelb)
Des Weiteren muss man antike Berichte über die Varusschlacht zu Grunde legen, etwa von Tacitus und von Cassius Dio (Wikipedia: Quellenlage). Insbesondere Cassius Dio berichtet detailliert, er hat anscheinend über die genauesten Informationen über die Schlacht verfügt. Man erfährt Folgendes:
- Varus ist mit 3 Legionen samt Hilfstruppen und Tross aus einem Lager an der Weser in Richtung des Winterlagers aufgebrochen
- Varus erhielt Informationen über einen kleineren, regionalen Aufstand eines germanischen Stammes und machte auf dem Weg zu seinem eigentlichen Ziel zur Beendigung dieses Aufstands einen Umweg durch unbekanntes Gebiet
- der Umweg war ein von den Germanen vorbereiteter Hinterhalt, und es kam zu einer Schlacht
- das Gebiet bestand zu großem Teil aus Urwald, und Schluchten führten dort hindurch; in dem Gebiet gab es Sümpfe und Moorböden; die Römer mussten Bäume fällen und Dammwege bauen
- starker Regen weichte die Böden zusätzlich auf
- der Tross der Römer war bedingt durch das Gelände weit auseinandergezogen
- die Kampfhandlungen dauerten 4 Tage
- am Abend des 1. Tages der Schlacht errichteten die Römer unter schwierigen Bedingungen ein Lager auf einem bewaldeten Hügel
- von dort zogen die Römer am 2. Tag der Schlacht weiter, nachdem sie die im Tross mitgeführte Ausrüstung inklusive der Wagen verbrannt hatten, und erreichten eine Lichtung
- die Römer errichteten ein gut ausgebautes Lager
- die Römer zogen am 3. Tag der Schlacht weiter und mussten erneut ein unübersichtliches Waldgebiet unter hohen Verlusten durchqueren
- die Römer legten ein weiteres, kleineres und nicht mehr sehr gut ausgebautes Lager an
- die Germanen zogen im Laufe der Kampfhandlungen immer mehr Krieger zusammen und umzingelten die Römer am 4. Tag schließlich
- die überlebenden Römer zogen sich nach Aliso zurück
- ein Ort der mehrtägigen Schlacht wurde von den Römern als SALTUS TEUTOBURGIENSIS bezeichnet und befand sich nicht weit entfernt von den äußeren Brukterern
- des Weiteren: der erste der im Nachgang der Varusschlacht stattfindenden Vergeltungsfeldzüge des Germanicus wurde im Herbst des Jahres 14 n. Chr. gegen den Volksstamm der Marser geführt, die an Arminius‘ Rebellion teilgenommen hatten; die Marser wurden in einer Art Genozid vernichtet (Wikipedia: Marser); darauf folgend wurde auch Mattium, einer der Hauptorte der ebenfalls an Arminius‘ Rebellion beteiligten Chatten, 15 n. Chr. von Germanicus zerstört, nachdem sich die Bewohner in die Wälder geflüchtet hatten (Wikipedia: Chatten)
A.2 Bestimmung der Lokation des Sommerlagers
Varus plante, die 3 Legionen vom Sommerlager an der Weser zurück ins Winterlager nach Aliso/Unna zu führen. Bei der Suche nach der Lokation des Lagers muss man sich daher zunächst fragen, welcher Abschnitt der Weser im Jahr 9 n. Chr für die Römer militärisch wichtig war.
Da sich die Römer zuerst die wirtschaftlich interessanten Regionen Germaniens gesichert haben dürften, sprich die großen Löss-Ebenen, die auch von der einheimischen Bevölkerung schon landwirtschaftlich erschlossen waren, hat das Weserbergland und die dortigen Löss-Gebiete zu den ersten Okkupationszielen gehört. Der Abschnitt der Weser zwischen den Ausläufern der Warburger Börde bei Beverungen und der Bördegebieten der Ravensberger Mulde bei Bad Oeynhausen dürfte also um 9 n. Chr. als militärisch gesichert gegolten haben.
Das nächste Ziel ist dann die für die Landwirtschaft ebenfalls sehr günstige norddeutsche Tiefebene gewesen. Die Kontrolle der norddeutschen Tiefebene dürfte auch der Zweck der Römerlager in Porta Westfalica und Wilkenburg gewesen sein. Da die Provinzialisierung der norddeutschen Tiefebene im Jahr 9 n. Chr. wahrscheinlich noch nicht abgeschlossen gewesen ist, dürfte es sich bei den schon entdeckten oder noch zu entdeckenden Lagern in der norddeutschen Tiefebene um Varus‘ Sommerlager gehandelt haben, im Winter zogen sich die Römer wieder in leichter zu versorgende Stützpunkte in der Nähe des Rheins zurück.
Ein idealer Standort für Varus‘ Sommerlager wäre eine zentral gelegene Furt durch den wichtigsten Fluss in der norddeutschen Tiefebene westlich der Elbe gewesen, also der Weser. Diese Anforderungen gut erfüllt hätte Nienburg. Nienburg wurde erstmal 1025 als Nienburch erwähnt, also ’neue Burg‘, was auf eine sehr viel ältere Befestigung in Nienburg hindeudet, eventuell auf eine 1025 noch erkennbare Graben-Wall-Anlage der Römer.
A.3 Bestimmung des aufständischen Stammes
Arminius musste sich also einen guten Grund ausdenken, um Varus von der Route wegzulocken. Ein kleiner regionaler Aufstand bot sich dazu sehr gut an. Wenn plötzlich über 20 000 römische Soldaten auftauchen, bricht ein kleiner Aufstand ohne Kampfhandlungen sofort in sich zusammen. Varus stände ohne große Aufwände in einem guten Licht dar (über reine Entwicklungsarbeit in der Provinz kann man halt keinen so spannenden Bericht für seinen Chef in Rom verfassen).
Auch wären den Soldaten am Ende der militärischen Saison im Herbst größe Kampfhandlungen nicht mehr zu vermitteln gewesen.
Varus war also bereit, einen Umweg bzw. Abstecher von der geplanten Route zu machen. Für den Umweg galt jedoch:
- Der Weg durfte nicht zu weit sein, Varus musste daher ein klares Ziel vor Augen haben, das man in einer akzeptablen Zeit erreichen konnte. Die Römer mussten das Siedlungsgebiet das angeblichen aufständischen Stamms also kennen.
- Der Weg musste topographisch so beschaffen sein, dass Varus‘ Kolonne weit auseinandergezogen wurde, um so durch die ausgedünnten Reihen der Römer einen Kampf Mann gegen Mann zu ermöglichen.
Für Arminius galt es also einen Lockvogel (also den angeblich aufständischen Stamm bzw. auch den Stamm, der sich durch die Aufständischen bedroht fühlte) zu finden, zu dem eine Route mit den oben genannten Kriterien führte. Da dieser Stamm bzw. diese Stämme in der Varusschlacht damit eine entscheidende Rolle gespielt haben, muss der Hass der Römer auf diese Stämme entsprechend groß gewesen sein, wodurch während der Vergeltungsfeldzüge von Germanicus besondere Aktionen der Römer gegen diese Stämme zu erwarten gewesen wären.
Gute Anhaltspunkte zur Bestimmung dieser Stämme liefert daher die Klärung der folgenden Frage:
Warum ausgerechnet die Marser?
Warum wurden ausgerechnet die Marser im Rahmen der Vernichtungsfeldzüge von Germanicus als erstes angegriffen und so brutal vernichtet? Warum erfolgte der nächste Angriff gegen die Chatten? Warum bekämpfte Germanicus die an der Varusschlacht beteiligten Stämme nicht vom Rhein ausgehend einen nach dem anderen? Letzteres wäre doch irgendwie logisch gewesen. Das Siedlungsgebiet der Marser lag von allen an der Varusschlacht beteiligten Stämmen so ziemlich mit am weitesten entfernt vom Rhein, der Angriff auf die Marser glich also eher einem Kommandounternehmen tief hinter den feindlichen Linien als dem Auftakt zu einem Krieg zur nachhaltigen Unterdrückung des Aufstandes.
Die Antwort ist, dass diese Vorgehensweise ganz einfach der römischen Mentalität entsprach. Die Römer fühlten sich zutiefst in ihrem Stolz verletzt und wollten zuerst am Ort der schmachvollen Niederlage Rache nehmen. Des Weiteren sollte den Germanen damit auch klar demonstriert werden, dass man in Germanien wieder mit den Römern zu rechnen hatte, und sie nicht etwa, schockiert über die Varusschlacht, die Wälder Germaniens nie wieder betreten würden.
Durch die Schlacht am Harzhorn wurde ein weiterer einem Kommandounternehmen gleichender Rachefeldzug der Römer offenbar, bei dem die Römer die zu dieser Zeit noch elbgermanischen Alamannen nach dem Überfall auf das römische Reich im Jahr 233/234 bis tief nach Germanien hinein verfolgten.
A.4 Bestimmung der Lokation des Hinterhaltes
Schaut man sich also die Siedlungsgebiete der Marser und der Chatten genauer an, ist schnell zu erkennen, dass sie Arminius‘ oben genannte Kriterien für den Hinterhalt bestens erfüllt hätten.
Die Römer kannten das Siedlungsgebiet der Marser zwischen oberer Lippe und oberer Ruhr.
Das Siedlungsgebiet der Chatten grenzte südlich an das der Marser, Kerngebiete waren die Ebene von Fritzlar-Waber sowie die westhessische Senkenlandschaft bis ins Gießener Becken, ab 15 n. Chr. dann auch das Kasseler Becken.
Von Varus‘ Sommerlager an der Weser, bei Minden im Speziellen (s. A.2) so wie aber auch von anderen möglichen Lokationen für das Sommerlager, führt das seit dem Mittelalter ‚Frankfurter Weg‘ genannte Altstraßensystem, auch Via Regia genannt, eine seit dem Altertum bekannte Zinn- und Bernsteinstraße von Bremen über Minden und Paderborn nach Frankfurt, durch das Siedlungsgebiet von Marsern und Chatten.
Anm.: Man kann auch den Senner Hellweg als Teil des Altstraßensystems Frankfurter Weg ansehen. Im Mittelalter stieß der Frankfurter Weg von Norden durchs Weserbergland kommend zwar erst ab der Dörenschlucht auf die Senne, aber der Umweg über den Bielefelder Pass hätte für das römische Militär Vorteile gehabt. Der Senner Hellweg ist ein Weg in Hanglage, das bedeutet festen Untergrund durch hoch anstehendes Grundgestein, und durch die Hanglage eine natürliche Drainage. Auf so einem Untergrund muss für den Bau einer Via Militaris quasi nur eine Schotterschicht aufgetragen werden, und auch im niederschlagsreichen Klimaoptimum der Römerzeit können dann 3 Legionen hintereinander aus der norddeutschen Tiefebene in Richtung Paderborn zur Kreuzung mit dem westfälischen Hellweg und dem Haarweg marschieren, ohne dass der Weg an einem regnerischen Tag nach den ersten 1 000 Legionären und 20 Ochsenkarren nicht mehr zu benutzen war. Die Römer wären technisch natürlich auch in der Lage gewesen die dem Frankfurter Weg folgende Via Militaris direkt durch das Weserbergland (wegen der Zugtiere vorzugsweise durch die Täler) ohne den Umweg über Bielefeld zu errichten, sie hätten dann aber auf Grund der Entwässerung sowohl beim Bau als auch bei der Instandhaltung höhere Kosten gehabt. Dir Entdeckung des Römerlagers Sennestadt ist ein Indiz für eine römische Via Militaris auf dem Verlauf des Senner Hellwegs. Das Römerlager Sennestadt bot Platz für drei Legionen mit Auxiliartruppen sowie den Tross, was der Truppenstärke des Varus Trosses entspricht.
In südlicher Richtung entlang des Senner Hellwegs (Sennerandstraße) in einer Entfernung von 15 römischen Meilen (22,2 km), welche der durchschnittlichen Tagesmarschdistanz einer römischen Legion entspricht, gibt es bei Oesterholz Hinweise auf ein weiteres römisches Lager.
Abb. A.4-1: Frankfurter Weg (braun) durch das Siedlungsgebiet der Marser (blau) und durch das Siedlungsgebiet der Chatten (rot)
Cassius Dio berichtet, dass der Überfall in dichtem Urwald stattgefunden hat („als er [Varus] schon in schwer passierbare Gebirgswälder geraten war“; Cassius Dio 56,19,5), („und [die Germanen] unvermutet selbst aus den dichtesten Wäldern hervorkamen“; Cassius Dio 56, 20, 3). Zwar kann man heute nicht mehr genau bestimmen, wo es in dem betreffenden Gebiet Urwälder gab, aber man kann die Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein von Urwald abschätzen.
In der Antike wurden aufgrund der noch nicht sehr effizienten landwirtschaftlichen Anbaumethoden zu erst die Gebiete besiedelt, die aufgrund der Böden relativ einfach zu bearbeiten waren. Gebiete mit Löss-Böden wurden also zuerst besiedelt, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die dazwischen liegenden Gebiete mit weniger ertragreichen Böden nicht besiedelt waren, und Nicht-Besiedelung bzw. Nicht-Bearbeitung der Böden geht in Mitteleuropa zumeist mit der Ausbreitung von Waldgebieten einher.
Wenn man sich auf der Bodenübersichtskarte die Böden der betreffenden Region anschaut, erkennt man, dass die Paderborner Hochfläche vorwiegend flache Braunerde, tonig-schluffiger Fließerde und Kalk- und Dolomitstein-Verwitterungsmaterial besteht. Flachgründige Braunerden sind meist von geringer Nährstoffversorgung und nutzbarer Feldkapazität, sie werden heutzutage meist forstwirtschaftlich genutzt. Als natürliche Vegetation würde sich unter dem vorherrschenden Klima auf Braunerden ein Mischwald aus Eichen, Rotbuche und Fichten einstellen (Wikipedia: Braunerden). Für das östliche Westfalen und das nördlichen Hessen lässt sich damit ableiten, dass die Siedlungskerne zur Zeitenwende in den die Paderborner Hochfläche umgebenden Börden lagen (Hellweg Börde, Warburger Börde), während die Paderborner Hochfläche selbst bewaldet war.
Der erste Angriff auf die römische Kolonne fand also in den Urwäldern der Paderborner Hochfläche statt.
Abb. A.4-2: Dichter Mischwald am Frankfurter Weg nördlich von Haaren
Der römische Hauptverkehrsweg von Paderborn auf die Paderborner Hochfläche führte in Richtung Lichtenau und weiter nach Warburg. Mit dem Ellerbach musste nur ein kleines Gewässer überquert werden, des Weiteren stand hier auf dem Weg nach Thüringen entlang der Sauer immer genügend Wasser zur Verfügung.
Auf Grund der mangelnden Wasserversorgung auf dem westlichen Teil der Paderborner Hochfläche wählten die Römer auch von Westen kommend den Weg über Lichtenau und Warburg. Um, über den Haarweg / Kleiner Hellweg kommend, auf dem Weg nach Lichtenau den Umweg über Paderborn zu vermeiden, gab es zwischen Tudorf und Dörenhagen einen römischen Verbindungsweg.
Die Ortsnamen ‚Am Kessberg‚ bei Tudorf, ‚Kattenecke‚ bei Etteln und ‚Kriegerweg‚ bei Dörenhagen deuten noch heute auf den römischen Weg hin, s. Kap. 1.4. Zudem zeigt der Ortname ‚Am Römerberge‚ bei Dörenhagen, dass es an diesem Ort an der Kreuzung des Hauptverkehrsweges von Paderborn nach Thüringen und dem Verbindungsweg vom Haarweg einen römischen Stützpunkt gab, bzw. dass hier häufiger römische Legionen lagerten.
Der römische Verbindungsweg durchquerte das Altenautal bei Etteln. Etteln hatte den Vorteil des festen Untergrundes, da die Altenau in den Sommermonaten zwischen Etteln und Gellinghausen regelmäßig trocken fällt.
Da die Marser vermeintlich nicht aufständisch waren, sondern Varus womöglich sogar als Bundesgenossen zur Hilfe gegen die Chatten gerufen hatten, wähnte sich Varus im Gebiet der Marser in Freundesland. Zum einen verzichtete er dadurch offensichtlich auf eine gründliche eigene, also römische Aufklärung, und verließ sich auf die Reiterei der germanischen Hilfstruppen, wodurch der Überraschungsangriff der Germanen möglich wurde. Zum anderen stimmte er dadurch auch der sehr lockeren und auseinandergezogenen Marschordnung zu, die bei der Durchquerung der dichten Waldgebiete der Paderborner Hochfläche notwendig war, und die die verheerende Niederlage der Römer ermöglichte.
Wegen des Verrats durch und vor allem auf dem Gebiet von Bundesgenossen waren die Römer dann auch im Nachhinein besonders auf die Marser ganz schön sauer.
A.5 Der Verlauf der Schlacht
Aus den topographischen Gegebenheiten des Gebietes zwischen der Paderborner Hochfläche und der Haarhöhe und einigen grundlegenden militärischen Überlegungen lassen sich Rückschlüsse auf den Verlauf der Schlacht ziehen.
Tag 1
Der Ausgangspunkt der Schlacht war ein Lager beim Stützpunkt ‚Am Römerberge‚ bei Dörenhagen. Der Grund hierfür ist, dass Varus das dichte und zum Errichten eines Lagers ungeeignete Waldgebiet der Paderborner Hochfläche so schnell wie möglich durchqueren wollte, und daher nicht noch einen Teil des ersten Marschtages mit dem Anmarsch auf dieses Waldgebiet vergeuden wollte.
Nach dem Morgenappell und dem Abbau des Lagers setzte sich die Kolonne dann in Richtung der Paderborner Hochfläche in Bewegung. Nach der Überquerung des Tals der Altenau bei Etteln führte bei Kattenecke ein sanfter Anstieg auf das Plateau in Richtung Haaren.
Man geht davon aus, dass der Tross der Streitmacht, welche drei Legionen, drei Alen (Reitereinheiten) und sechs Kohorten mit insgesamt 15.000 bis 20.000 Soldaten, dazu 4.000 bis 5.000 Reit-, Zug- und Tragtiere, umfasste, insgesamt 15 bis 20 km lang gewesen sein muss (Wikipedia: Verlauf der Varusschlacht). Da sich ein solcher Tross durch ein unwegsames Waldgebiet kaum mit mehr als 5 km/h bewegt haben kann, hat der Marsch der Kolonne auf die Paderborner Hochfläche mehrere Stunden gedauert.
Am frühen Nachmittag war dann auch das Ende der mindestens 15 km langen Kolonne vollständig in den Waldgebieten der Paderborner Hochfläche. Der vordere Teil der mindestens 15 km langen Kolonne hatte schon einen Großteil der Hochfläche durchquert, und befand sich südlich der Hirschweges (Herßweges) auf dem Sintfeld. Zu diesem Zeitpunkt waren die Germanen auf der ganzen Strecke der römischen Kolonne in einer optimalen Angriffsposition.
Besonders wirkungsvoll war der Angriff dort wo es möglich war, die Römer beim Angriff einen Abhang bzw. in eine Schlucht hinunterzudrängen, weshalb die heftigsten Angriffe bei der Anhöhe des Etteler Orts und oberhalb des Altenau Tals, des Totengrundes, des Taubengrundes und des Röhrer Grundes stattfanden. Die optimalen Angriffspositionen waren bei Haaren oberhalb des Totengrundes und des Taubengrundes, da hier der Frankfurter Weg wirklich direkt oberhalb des Abhangs entlangführte, weshalb die Römer am Totengrund und am Taubengrund auch die meisten Verwundeten und Getöteten zu verzeichnen hatten (wovon ja auch die Ortsnamen Totengrund und Taubengrund zeugen, taub mit der Bedeutung abgestorben, tot).
Anm.: Der römische Geschichtsschreiber Appian von Alexandria berichtet in Die spanischen Kriege 13, 63, dass der lusitanische Heerführer Viriathus 147 v. Chr. bei der Schlacht bei Tribola den Römern in der gleichen Weise (Angriff auf eine römische Marschkolonne aus dem dichten Wald heraus und nachfolgendes Abdrängen der Römer in einen Abgrund) eine Niederlage zufügte. Eventuell hat sich Arminius durch diese Geschehnisse für die Vorbereitung seines Hinterhaltes für Varus inspirieren lassen.
Die Germanen stürmten aus dem dichten Wald hervor und verwickelten die Legionäre aus der ausgedehnten Kolonne in Einzelkämpfe, welchem die Römer meist nicht gewachsen waren. Hinzu kam der feuchte und morastige Untergrund in großen Teilen des Kampfgebietes. Der einsetzende starke Regen machte die Situation für die Römer dann noch schlimmer.
Explizit beschreibt Cassius Dio in 56,20,1-5 auch das Auftreten besonders heftiger Stürme einhergehend mit dem Abbrechen von Baumkronen, was auf eine windexponierte Lage des Ortes der Varusschlacht hindeutet. In der Tat wird die Paderborner Hochfläche heutzutage intensiv für die Erzeugung von Windernergie genutzt: Windpark Sintfeld.
Abb. A.5-1: Windpark auf der Paderborner Hochfläche bei Etteln (TIM Online)
Bedingt durch die Flachgründigkeit der Böden auf der Paderborner Hochfläche auf hoch anstehenden Kalk-Grundgestein brechen bei Stürmen nicht nur die Baumkronen ab, sehr häufig stürzen dort auch ganze Bäume um. Durch die hohe Frequenz umstürzender Bäume kann überall dichtes Unterholz entstehen, was in Wäldern mit normalen Generationswechselzeiten der Bäume nicht in dem Maß der Fall ist. Auch in dieser Beziehung bot die Paderborner Hochfläche also ideale Bedingungen für einen Hinterhalt.
Abb. A.5-3: Wurzel eines auf flachgründigem Boden umgestürzten Baumes auf der Paderborner Hochfläche
Anm.: Auf Grund der windexponierten Lage und der nährstoffarmen Böden der Paderborner Hochfläche ist nichts Gutes für den Zustand metallischer Überreste der Varusschlacht zu erwarten. Die durch die Wurzeln umstürzender Bäume aus dem Grundgestein herausgelösten Kalkscherben zermahlen die Metallobjekte gewissermaßen. Durch die Nährstoffarmheit und die damit einhergehende Bakterienarmheit im Boden steht relativ viel Sauerstoff für die Oxidation zur Verfügung. Aus diesen Gründen sind für die Varusschlacht sowohl durch Korrosion als auch mechanisch stark zerstörte Metallfunde zu erwarten. Kleine Metallobjekte wie Sandalennägel sind gar nicht mehr zu erwarten, wie auch das Nichtvorhandensein von Sandalennägeln im Römerlager Kneblinghausen zeigt, was sich durch nichts anderes als Korrosion erklären lässt.
Da es ein regnerischer Septembertag war, war es nördlich der Mittelgebirge in Germanien (ohne die Sommerzeit) spätestens um 19 Uhr stockfinster, und die Kampfhandlungen wurden eingestellt.
Für Arminius war das Ergebnis des 1. Kampftages zwiespältig. Die Germanen hatten den Römern zwar arg zugesetzt, aber besiegt hatten sie sie nicht. Da es kaum Arminius‘ Plan gewesen sein dürfte, sich eine mehrtägige Schlacht mit den Römern zu liefern, sondern die Römer in einem überraschenden Angriff zu besiegen, hatte er sein Ziel erst einmal verfehlt, und musste seine Strategie überarbeiten. Demzufolge waren auch die germanischen Krieger nur für einen Kampftag ausgerüstet, und mussten sich am Ende des ersten Tages in Richtung Hellwegbörde zurückziehen und verpflegen.
Die Römer nutzen die Kampfpause dazu aus, die Kommunikation im Tross wieder herzustellen, und standardmäßig wurde für die Nacht ein Lager errichtet. Logistisch günstig war es den Tross genau in der Mitte des Kampfgebietes bei Haaren am Totengrund und am Taubengrund zusammenzuziehen, zumal die Römer hier auch die meisten Verwundeten zu versorgen hatten. Günstig für das Lager wäre eine leicht zu verteidigende Anhöhe gewesen, wie sie die Wallburg Knickenhagen bot, die ihren Ursprung vielleicht in dem provisorischen römischen Marschlager hatte.
Cassius Dio beschreibt das Errichten eines Lagers unter schwierigen Bedingungen auf einem bewaldeten Hügel („soweit dies [das Errichten des Lagers] auf einem bewaldeten Berg überhaupt möglich war“).
Abb. A.5-4: Varusschlacht Tag 1 abends, Errichten des Marschlagers durch die Römer in der Mitte des Kampfgebietes bei Haaren (blau), Rückzug der Germanen zur Hellwegbörde (rot)
Gemäß alter Überlieferungen wurde auf dem Salmesfeld bei Haaren auch ein goldener römischer Adler gefunden (Arminiusforschung: Goldadlerfund in Haaren?).
Gemäß Tacitus erhielt Germanicus einen Legionsadler von den Brukterern zurück (Ann. I, 60), einen anderen Legionsadler von den Marsern (Ann. II, 25). Beide Stämme waren an der Varusschlacht beteiligt und der Verbleib der Legionsadler bei diesen Stämmen ist nachvollziehbar.
Über die Rückgewinnung des 3. Legionsadlers im Jahr 41 schreibt Cassius Dio (60, 8, 7): „Im selben Jahr [41] jedoch überwand Sulpicius Galba die Chatten, und Publius Gabinius eroberte das Gebiet der Chauken, und als krönende Leistung erlangte er einen Legionsadler, den einzigen der noch in den Händen des Feindes nach der Varus Niederlage zurückblieb. Dank der Heldentaten dieser beiden Männer erhielt Claudius nun den wohlverdienten Titel des Imperators.“
Der 3. Legionsadler verblieb demnach 30 Jahre lang bei den Chauken ohne eingeschmolzen und zu Schmuck verarbeitet zu werden. Weiterhin sein angemerkt, dass zum Einen von den Chauken nicht bekannt ist, ob sie überhaupt an der Varusschlacht beteiligt waren, dass zum Anderen das Auffinden des Legionsadlers den Sieg über die Chauken perfekt machte und es Claudius erleichterte, den Titel Imperator anzunehmen. Gewisse Zweifel ob der dem Gebiet der Chauken herbeigebrachte Legionsadler wirklich von den Varus-Legionen stammte scheinen berechtigt.
Datierung des Schlachtfeldes
Die Schlussmünzen sind die bei Neuböddeken oberhalb von Totengrund bzw. Taubengrund gefundenen Gaius-Lucius-Silberdenare (Prägezeitraum 2 v. Chr. bis 1 n. Chr.), Funde später geprägter römerzeitlicher Münzen sind nicht bekannt. Die Schlacht bei Haaren hat also nach dem Jahr 1 n. Chr. stattgefunden.
Tag 2
Cassius Dio beschreibt, dass die Römer am 2. Tag der Kampfhandlungen eine Lichtung erreichten, auf dem Weg dorthin wurden sie wieder von den Germanen angegriffen (Cassius Dio: „doch war ihr Abzug nicht ohne blutige Verluste geblieben“). Auf der Lichtung wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit standardmäßig wieder für die Nacht ein Lager errichtet. Da dieses dann auf einer Lichtung war, dürfte das Errichten des Lagers nicht mit größeren Schwierigkeiten verbunden gewesen sein, dementsprechend hoch dürfte die Qualität der Anlage gewesen sein, wodurch eventuell bis heute Überreste des Lagers erhalten geblieben sind. Tacitus berichtet auch über ein solches mit Sorgfalt angelegtes Lager: „Hier das erste Lager des Varus; der weite Umfang und die Raumverhältnisse des Feldherrnplatzes deuteten auf den tatkräftigen Einsatz dreier Legionen.“ Tacitus spricht hier vom ersten Lager des Varus, was daran gelegen haben dürfte, dass Tacitus‘ Informant das provisorische Lager des ersten Tages auf dem bewaldeten Hügel gar nicht als ein solches angesehen haben dürfte. Denkbar ist es auch, dass Germanicus auf Grund des ausgedehnten Schlachtfeldes nicht alle Orte der Schlacht aufgesucht hat, und Tacitus von dem ersten Lager berichtet, welches Germanicus besichtigt hat, welches aber tatsächlich das zweite Marschlager war.
Auf Grund der Verlustzahlen der ersten beiden Tage der Schlacht werden die Römer am Abend des 2. Tages eigentlich kein Lager für 3 Legionen mehr gebraucht haben. Da die tatsächlichen Verlustzahlen aber sicher nicht genau bekannt waren, und die Römer auch auch keine Zeit hatten zu überlegen, für wie viele Soldaten das Lager am 2. Abend tatsächlich konzipiert werden musste, wurde es standardmäßig für 3 Legionen angelegt. Wohl auch mit dem Nachteil, dass die aus Graben und Wall bestehende Verteidigungsanlage für die Anzahl der zur Verteidigung zur Verfügung stehenden Legionäre eigentlich überdehnt war.
Dieses Lager des 2. Abends müsste im Westen des Kampfgebietes auf der Paderborner Hochfläche liegen, weil nach dem Überfall durch die Germanen Varus‘ einzig logische Strategie gewesen sein dürfte, nach Westen in Richtung Aliso zu marschieren. In der Tat befindet sich westlich der Paderborner Hochfläche bei Kneblinghausen ein solches Lager auf der Anhöhe bei den Straßen Romecke / Am Römerlager (Wikipedia: Römerlager Kneblinghausen), das Lager ist auf Grund nicht vorhandener Überreste einer Palisadenmauer als Marschlager einzustufen, es war ursprünglich etwa 450 m × 245 m groß und wurde nur sehr kurz benutzt, und es wurde im Osten um 130 m verkürzt. Wahrscheinlich wurde es auch über einer germanischen Siedlung errichtet, die dadurch zerstört wurde. Der Zweck des Lagers ist bisher nicht bekannt (LWL: Römerlager Kneblinghausen).
Die Römer errichteten das Marschlager bei Kneblinghausen also standardmäßig am Ende des 2. Tages der Schlacht. Der Weg nach Kneblinghausen führte von Haaren entlang des Herßweges nach Westen, mit der Überquerung der Afte bei Hegensdorf und der Alme bei Siddinghausen, um auf dem Kneblinghausener Plateu dann eine der Trassen des ‚Haarweges‚ zu erreichen. Auf dem Plateau zwischen Hegensdorf und Siddinghausen und auf der Kneblinghausener Hochebene trafen die Germanen dann wieder auf die Römer, nachdem sie nach der Übernachtung in der Hellwegbörde den Römern wieder entgegengezogen waren. Bedingt durch den mehrere Kilometer weiten Anmarschweg von der Hellwegbörde begann Angriff auf die Römer am 2. Tag am späten Vormittag, und der Kampf dauerte mehrere Stunden.
Abb. A.5-5: Varusschlacht Tag 2, Rückzug der Römer in Richtung Westen (blau), Angriffe der Germanen (rot)
Die Germanen zogen sich am Ende des 2. Tages zwecks Verpflegung wieder zur Hellwegbörde zurück, die Römer errichteten standardmäßig wieder ein Marschlager. Um Rodungsarbeiten zu vermeiden, wurde das Lager bei Kneblinghausen auf der Lichtung bzw. der Rodung des durch den Bau des Lagers zerstörten germanischen Dorfes errichtet. Mit der ursprünglichen Abmessung von 450 m x 245 m bot das Lager Platz für ungefähr 3 Legionen; ein Marschlager für 3 Legionen, welches nicht unter Gefechtsbedingungen angelegt worden wäre, wäre wahrscheinlich etwas größer gewesen.
Die unter Kap. 1.1 erwähnte Verhüttung von Eisenerz könnte auch der Grund sein, warum es den Römern in der ansonsten waldreichen Gegend überhaupt möglich war, das Marschlager Kneblinghausen anzulegen. Für die Verhüttung werden große Mengen Holz gebraucht, weshalb das Gebiet um Kneblinghausen großflächig abgeholzt gewesen sein dürfte, was es den nach Westen flüchtenden Römern ermöglichte, ein derart großes Marschlager anzulegen.
Auch der Ortsname der Lokation des Lagers des 2. Tages, ‚Romecke‘, könnte auf eine von den Römern wirtschaftlich erschlossene Gegend hindeuten, s. Kap 1.4. ‚Romecke‘ ist die Sandhi-Form von ‚Rombecke‘ bzw. ‚Rombach‘. Andererseits bedeutet der protogermanische Wortstamm *rēm= bzw. *rōm= so viel wie Staub, Ruß oder Schmutz (Tower of Babel: *rōm= ), alles Dinge die entstehen, wenn man Erz verhüttet. Romecke könnte also auch Rußbach bedeuten, und auf antike Umweltverschmutzung hindeuten.
Abb. A.5-6: Anstieg aus dem Almetal zur Kneblinghausener Hochebene
Abb. A.5-7: Anhöhe des Römerlagers bei Romecke/Kneblinghausen
Abb. A.5-8: Varusschlacht Tag 2 abends, Rückzug der Römer in Richtung Westen/Kneblinghausen (blau), Rückzug der Germanen zur Hellwegbörde (rot), Errichten des Römerlagers Kneblinghausen (braun)
Als das römische Lager am Ende des 2. Tages fertiggestellt und die gesamte römische Marschkolonne in Kneblinghausen eingetroffen war wurde ersichtlich, dass das Lager bezüglich der Anzahl der noch lebenden Legionäre überdimensioniert war: die Anzahl der Legionäre war nicht mehr hoch genug, um Graben und Wall des Lagers zu bewachen bzw. zu verteidigen, und den Legionären andererseits aber auch eine Schlafpause zu ermöglichen. Aus diesem Grund wurde die Ostseite des Lagers um 130 m verkürzt, und der Umfang des Lager entsprechend reduziert.
Tag 3
Von Kneblinghausen führte der schnellste Weg nach Aliso nach Westen über die Trasse des Haarweges südlich der Spitzen Warte in Richtung Haarhöhe. Das Römerlager bei Vierhausen (s. Kap. 3.4) zeigt, dass die Römer den Haarweg als Verkahrsweg nutzen. Da die Haarhöhe bis zum Mittelalter bewaldet war (Wikipedia: Haar) mussten die Römer nach dem Marschlager bei Kneblinghausen also wieder ein Waldgebiet durchqueren, so wie es in den antiken Quellen auch bestätigt wird.
Abb. A.5-9: Trasse des Haarwegs südlich der Spitzen Warte (Uraufnahme von 1836, TIM-online)
Am 3. Tag hatten die germanischen Krieger nur einen sehr kurzen Anmarschweg von der Hellwegbörde zur römischen Marschkolonne auf dem Haarweg und konnten die Römer während des ganzen Tages angreifen. Bedingt durch die Nähe zum Siedlungskern Hellwegbörde konnten auch weitere germanische Krieger die Römer angreifen, die nicht zu Arminius‘ Armee gehörten und eigentlich mit der Ernte beschäftigt waren, die aber auch bereit waren die Ernte für ein oder zwei Tage zu unterbrechen auf Grund der Aussicht auf Beute beim Angriff auf die Römer. Die antiken Quellen bestätigen, dass im Verlauf der Kampfhandlungen immer mehr germanische Krieger die Römer angriffen.
Abb. A.5-10: Varusschlacht Tag 3, Marsch der Römer über den Haarweg in Richtung Westen (blau), Angriffe der Germanen (rot)
Nach den mehrstündigen Kämpfen zogen sich die Germanen am Ende des 3. Tages abermals zu Nachtlagern in der Hellwegbörde zurück. Die Römer rückten bis zum Einbruch der Dunkelheit weiter nach Westen vor, in etwa bis nach Drewer. Die Marschstrecke von 10 km zwischen Kneblinghausen und Drewer dürfte auch der maximalen Wegstrecke entsprechen, die eine römische Marschkolonne unter ständigen Angriffen von germanischen Kriegern zurücklegen konnte. Bei Drewer stand den Römern mit der Quelle der Dumbecke auch wieder Frischwasser zur Verfügung.
In der Nähe von Drewer errichteten die Römer dann standardmäßig wieder ein Lager. Ein römisches Marschlager wurde hier bisher nicht entdeckt, allerdings dürfte dies auch recht schwierig sein. Beim Anlegen des Lagers haben sich die Römer offensichtlich keine große Mühe mehr gegeben, Tacitus berichtet, dass Germanicus beim 2 Marschlager schon im Jahr 15 nur noch einen halb eingestürzten Wall und einen niedrigen Graben vorfand, welche von den angeschlagenen Resten der Legionen errichtet wurden (Tacitus, Ann. I, 61).
Anm: Der Ortsname Drewer (1230 Drivere, evt. 1194 Treivere (Die Ortsnamen des Kreises Soest)) könnte wie der Ortname der Wüstung Drever bei Salzkotten auf den Treveresgau zurückzuführen sein, was zusammen mit dem Ortsnamen Welschenbeck südlich von Drewer auf Aktivitäten treverischer Hilfstruppen im Rahmen der Okkupation (z. B. Wachkastell) in diesem Gebiet hindeuten könnte (s. Kap. 1.4), wodurch dann auch die Rodung zu erklären wäre auf der das römische Marschlager auf der ansonsten bewaldeten Haarhöhe errichtet werden konnte.
Tag 4
Am Morgen des 4. Tages haben die Römer ihren Weg nach Westen/Aliso über den Haarweg fortgesetzt, wurden von Beginn des Tages an aber auch wieder von den Germanen angegriffen.
Über diesen Zeitpunkt an dem sich die Niederlage der Römer abzeichntete berichtet der römische Geschichtsschreiber Velleius Paterculus, dass die römische Reiterei unter dem Legaten Numonius Vala desertierte und floh, diese Flucht aber scheiterte: „Numonius Vala aber, ein Legat des Varus, sonst ein ruhiger und bewährter Mann, gab ein abschreckendes Beispiel: Er beraubte die Fußsoldaten des Schutzes durch die Reiterei, machte sich mit den Schwadronen auf die Flucht und suchte den Rhein zu erreichen. Jedoch das Schicksal rächte seine Schandtat: Er überlebte seine Kameraden nicht, von denen er desertiert war, sondern fand als Deserteur den Tod.“ (Vell. Hist. 119/4)
Die gescheiterte Flucht lässt darauf schließen, dass es der römischen Reiterei nicht gelang, die feindlichen Linien zu durchbrechen, denn nach dem Durchrechen hätte einer Flucht in Richtung Rhein/Aliso nichts mehr im Wege gestanden. Da bei der Vernichtung der Reiterei auch eine große Anzahl an Pferden getötet wurden und dann an Ort und Stelle verwesten, könnte es sein, dass die große Menge an Pferdeknochen sich vor Ort in einem Flurnamen widerspiegelt. Tatsächlich befindet sich am Haarweg nördlich von Mülheim bei Taubeneiche ein Ort mit dem Namen Pferdefriedhof, woraus sich folgern lässt, dass sich die römische Reiterei am Morgen des 4. Tages von der Infantrie trennte und sich dann über den Haarweg nach Westen bewegte, an einer Steigung des Haarwegs am Pferdefriedhof aber von den Germanen gestoppt und vernichtet wurde.
Abb. A.5-11: Steigung des Haarwegs am Pferdefriedhof
Für die römische Infantrie, die sich kurze Zeit später zum Pferdefriedhof durchgekämpft hatte, muss der Anblick der vernichteten Kavallerie zusätzlich extrem demotivierend gewesen sein.
Abb. A.5-12: Varusschlacht Tag 4 morgens, Marsch der Römer über den Haarweg in Richtung Westen (blau), Angriffe der Germanen (rot), Flucht der römischen Reiterei unter Numonius Vala (grün)
Wie die antiken Quellen berichten, kam es dann aber unter den Römern zu einem großen Gedränge und einer Umzingelung. Arminius hatte es also geschafft, die Römer auf ihrem Vormarsch aufhalten und einzukesseln. Die Gelegenheit hierzu bot sich bei der Steigung des Haarwegs in Richtung Westen bei Taubeneiche. Der Ortsname Taubeneiche (= Toteneiche) deutet zudem auch heute noch auf die Kampfhandlungen hin.
Abb. A.5-13: Varusschlacht Tag 4 nachmittags, Umfassung der Römer (blau) durch die Germanen (rot) bei Taubeneiche
Nach der Schlacht nahmen die Germanen die Römer gefangen und plünderten das Schlachtfeld. Durch den daraus resultierenden Transport des Beutegutes sollten in der Nähe des Schlachtfeldes römische Funde zu erwarten sein. Die römischen Funde am Fuße des Berges Loermund bei Sichtigvor bestätigen dies.
Insbesondere erforschte Heimatforscher Fritz Schmidt († 2017) aus Sichtigvor rund um die Volksburg ‚Loermund‘ und im Tal von Sichtigvor die Spuren der Varusschlacht, und hatte dabei im Laufe der Jahrzehnte viele archäologische Fundstücke zusammengetragen.
Abb. A.5-14: Archäologische Fundstücke vom Loermund bei Sichtigvor
Für den Verlauf der Varusschlacht ergibt sich somit von einem Ausgangspunkt am Frankfurter Weg nördlich der Paderborner Hochfläche folgendes Bild:
Mit der so erfolgten Bestimmung der Lokation der Varusschlacht wird auch der Hintergrund des Feldzuges von Germanicus im Herbst des Jahres 14 n. Chr. gegen die Marser klar. Das ungünstige Ziel des Feldzugs, der Stamm der Marser weit entfernt vom Rhein tief im feindlichen Germanien, und die ungünstige Zeit des Feldzuges im Herbst, wo eigentlich alle militärischen Aktivitäten beendet wurden, diente dazu, am 5. Jahrestag der Varusschlacht am Ort der Varusschlacht ein Exempel zu statuieren.
A.6 Der Zusammenhang mit dem von Tacitus als Ort der Schlacht erwähnten Saltus Teutoburgiensis
Das lateinische Wort ‚Saltus‘ bedeutet im Deutschen ‚waldiges Gebirge‘.
In Teutoburgiensis ist die indogermanische Sprachwurzel ‚teuta‘ enthalten, die die Bedeutung Volk bzw. Leute hat (Wikipedia: Deutsch_(Etymologie)).
Burg hat die selbe Bedeutung wie Burg im Deutschen.
Das lateinische Wort ‚Teutoburg‘ bedeutet also so viel wie ‚Volksburg‘, und wurde von den Römern aus dem Germanischen übernommen. Volksburgen bzw. Wallburgen sind Verteidigungsanlagen, oft auf Hügeln angelegt und durch einen Erdwall und einer darin eingearbeiteten Mauer aus Holzstämmern, in die sich die lokale Bevölkerung bei Kriegsgefahr zurückziehen konnten (Wikipedia: Volksburg und Wikipedia: Wallburg).
Ein SALTUS TEUTOBURGIENSIS ist also ein waldiges Gebirge, in dem sich auch ein oder mehrere Volksburgen befinden müssen. In der Tat befindet sich eine Volksburg in der Nähe jedes der Kampfgebiete der Varusschlacht.
Über dem Altenautal zwischen Etteln und Gellinghausen befindet sich die Wallburg Gellinghausen.
Nördlich von Haaren befindet sich die Wallburg ‚Knickenhagen‘ (Wikipedia: Haaren).
Abb. A.6-1: Wall der Volksburg/Teutoburg Knickenhagen.
Auf dem Loermund bei Sichtigvor befindet sich die gleichnamige Wallburg (Wikipedia: Loermund).
Abb. A.6-2: Wall der Volksburg/Teutoburg Loermund – Wolfgang Poguntke, Wallburg Loermund-1, CC BY-SA 3.0
A.7 Der von Germanicus errichtete Grabhügel
Laut Tacitus hat Germanicus für die Gefallenen der Varusschlacht in der Nähe einen Grabhügel errichtet: „Und nun setzte das hier befindliche römische Heer, sechs Jahre nach der Niederlage, die Gebeine von drei Legionen bei, in trauriger Stimmung und zugleich in wachsendem Zorn auf den Feind, ohne dass jemand erkannte, ob er die Überreste von Fremden oder von seinen eigenen Angehörigen in der Erde barg. Und es war, als ob sie alle zusammengehörten, als ob sie Blutsverwandte seien. Das erste Rasenstück zur Errichtung des Grabhügels legte der Caesar [Anm.: gemeint ist Germanicus], so erwies er den Gefallenen den ersehnten Dienst und nahm teil an dem Schmerz der Anwesenden.“ (Tacitus, Annalen I, 62)
In diesem Grabhügel ließ Germanicus im Jahr 15 n. Chr. also die Übereste der Gefallenen der Varusschlacht bestatten, d. h. in dem Hügel wurden die Gebeine von schätzungsweise 10 000 bis 20 000 Menschen zusammengetragen, entsprechend groß und Imposant war der Hügel. Für Germanicus‘ Soldaten war die Errichtung des Grabhügels eine ziemlich deprimierende und demoralisierende Aufgabe, dementsprechend wurde Germanicus dafür auch von Tiberius kritisiert (Wikipedia: Bestattung der Gefallenen des Varusheeres unter Germanicus).
Des Weiteren berichtet Tacitus, dass der Grabhügel im weiteren Verlauf des Krieges von den Germanen wieder zerstört wurde: „Jedoch hatten sie [Anm.: gemeint sind die Germanen] den erst kürzlich für die Legionen des Varus errichteten Grabhügel und einen früher für Drusus gebauten Altar zerstört.“ (Tacitus, Annalen II, 7). Da mit der ‚Zerstörung‘ des Hügels wahrscheinlich eine Schändung bzw. auch Plünderung desselben gemeint war, und nicht dessen Abtragung bis auf das ursprüngliche Bodenniveau, müssten in der Nähe des Kampfgebietes noch die Überreste des Grabhügels zu finden sein.
Zur Bestimmung der Lokation des Hügels ist es ratsam, Germanicus aufgrund seiner Mentalität als Römer zunächst einmal ganz praktische Beweggründe für die Wahl des Ortes des Grabhügels zu unterstellen. Die Varusschlacht war ein viertägiges Marschgefecht, auf ein entsprechend großes Gebiet haben sich die Gebeine der Gefallenen verteilt, nämlich über große Teile des Gebietes zwischen der Paderborner Hochfläche und der Haarhöhe:
Abb. A.7-1: Kampfgebiete der Varusschlacht, auf die sich auch die Überreste der Gefallenen verteilten (blau); ungefähre Mitte der Kampfgebiete am Haarweg südwestlich von Büren / östlich von Hemmern (rot)
Um den Aufwand beim Einsammeln der Gebeine so gering wie möglich zu halten, hätte sich als Lokation des Grabhügels ein Ort ungefähr in der Mitte des Kampfgebietes angeboten, also in etwa südwestlich von Büren. Da Germanicus mit dem Grabhügel das Andenken der Gefallenen ehren wollte, musste der Hügel auch zu sehen sein, er musste also in der Nähe einer Straße liegen, wo ihn Menschen passierten und gut sehen konnte. Der Grabhügel lag also in der Nähe des Hauptverkehrsweges der dortigen Gegend, dem Haarweg.
Nach der Zerstörung des Grabhügels lagen dann über einen großen Zeitraum menschliche Gebeine um den Grabhügel verstreut herum, bzw. traten im Laufe der Jahre bis zu ihrer endgültigen Zersetzung auch immer wieder ans Tageslicht, was sich eventuell heute noch in einem entsprechenden Orts- oder Flurnamen widerspiegelt.
Ein Ort, der die oben genannten Kriterien für die Lokation erfüllt, ist der ‚Knochenberg‚ östlich des Kastells Spitze Warte (Kap. 3.2) bei Hemmern:
Abb. A.7-2: ‚Knochenberg‘ östlich von Hemmern (TIM-online)
Auf dem Knochenberg befindet sich ein Hügel:
Abb. A.7-3: Hügel auf dem Knochenberg
Abb. A.7-5: Hügel auf dem Knochenberg
Vid. A.7-6: Hügel auf dem Knochenberg
Die Form des Hügels ist oval, er ist ca. 120 m lang und ca. 80 m breit, die Höhe beträgt ca. 7 m. Die längere Seite des Hügels ist zum Haarweg ausgerichtet.
Eine Probe ergab, dass der Hügel und die Umgebung des Hügels aus unterschiedlichen Böden bestehen. Während man in der Umgebung des Hügels weißlich-graue Erde vorfindet, besteht der Hügels selbst aus gelblicher Erde, teilweise von rötlichen Adern durchzogen.
Abb. A.7-7: Erdreich des Hügels
Abb. A.7-8: Erdreich der Umgebung des Hügels
Der Hügel auf dem Knochenberg entspricht also mit hoher Wahrscheinlichkeit dem von Germanicus für die Gefallenen der 17., 18. und 19. Legion errichteten Grabhügel.
Das Erdreich für den Grabhügel wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der Südseite des Knochenberges oberhalb des Aschetalwegs entnommen. Dort erkennt man noch heute die durch das Abtragen des Erdreich entstandenen Mulden.
Abb. A.7-9: Erdmulde am Südhang des Knochenberges über dem Aschetal
Abb. A.7-10: Erdmulde am Südhang des Knochenberges über dem Aschetal (TIM-online)
Eine Probe ergab, dass das Erdreich in der Umgebung der Mulden aus der gleichen gelblichen Erde besteht wie der Grabhügel.
Abb. A.7-11: Erdreich der Umgebung der Mulden
Neben dem großen, ovalen Hügel auf dem Knochenberg befindet sich noch ein kleiner, runder Hügel, von ca. 20 m Durchmesser und 3 m Höhe:
Abb. A.7-12: Mutmaßlicher Drusus Altar
Vid. A.7-13: Mutmaßlicher Drusus Altar
Tacitus erwähnt den für die Legionen des Varus errichteten Grabhügel und einen älteren, für Drusus errichteten Altar in einem Zug, was eventuell auf eine unmittelbare Nähe der beiden Objekte hindeuten könnte: „Sie hatten jedoch den kürzlich für die Legionen des Varus errichteten Grabhügel und einen alten, für Drusus erbauten Altar zerstört. Germanicus stellte den Altar wieder her und führte zu Ehren des Vaters persönlich an der Spitze der Legionen eine feierliche Parade an; den Grabhügel zu erneuern schien nicht zweckmäßig.“ (Tacitus II 7) Es ist daher zu untersuchen, ob der kleinere Hügel auf dem Knochenberg den Überresten des für Drusus errichteten Altars entsprechen könnte.
Abb. A.7-14: Varus-Grabhügel (großer Kreis), mutmaßlicher Drusus-Altar (kleiner Kreis) (TIM-online)
Abb. A.7-15: Varus-Grabhügel und mutmaßlicher Drusus-Altar (TIM-online)
Beim Blick vom Haarweg auf den Knochenberg kann man den Varus-Grabhügel im Verlauf der Braumkronenlinie immer noch deutlich erkennen:
Abb. A.7-16: Blick vom Haarweg auf den Knochenberg mit dem Varus-Grabhügel (roter Pfeil)
Auf der Spitze des Varus-Grabhügels (und nur dort) findet man häufig umgestürzte Bäume, was auf einen sehr flachgründigen Boden hinweist.
Abb. A.7-17: Entwurzelte Bäume auf dem Grabhügel
Zwischen den ausgerissenen Wurzeln der umgestürzten Bäume in diesem Bereich des Grabhügels befinden sich Kalksteinfragmente, welche häufig geometrische Formen aufweisen.
Abb. A.7-18: Ausgerissene Baumwurzel auf dem Grabhügel
Abb. A.7-19: Ausgerissene Baumwurzel auf dem Grabhügel
Abb. A.7-20: 90° Winkel formendes Steinfragment aus dem Grabhügel
Trotz der vielen erosionsbedingten Bruchkanten weisen die Steine immer noch prinzipiell eine quaderförmige Struktur auf:
Abb. A.7-21: Prinzipielle quaderförmige Struktur der Steine im Grabhügel mit erosionsbedingten Brüchen
An den Flanken des Grabhügels kommt es nur selten zu sturmbedingten Umstürzen von Bäumen. Wenn dort einmal ein Baum umstürzt, befinden sich in dessen Wurzelbereich nicht die auf der Spitze des Grabhügels grundsätzlich vorhandenen Kalksteine, sondern nur das markante gelblich lehmige Erdreich des Hügels.
Abb. A.7-22: Ausgerissene Baumwurzel an der Flanke des Grabhügels
Die Struktur des Grabhügels stellt sich somit folgendermaßen dar: auf einer Ebene aus grauem Kalkstein-Verwitterungsmaterial auf Kalk-Grundgestein befindet sich ein Hügels aus gelblich lehmige Erdreich, auf des Spitze sich eine Schicht aus Kalkgestein befindet. Das Innere des Hügels ist noch unbekannt.
Abb. A.7-23: Struktur des Varus Grabhügels
Der Verfasser hielt es für eine gute Idee, den unbekannten Bereich des Grabhügels mittels einer nichtinvasiven und für das Land Nordrhein-Westfalen völlig aufwands- und kostenlosen weil vom Verfasser mittels Beauftragung einer Fachfirma durchgeführten und finanzierten geoelektrischen Vermessung des Querschitts des Hügels zu untersuchen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat die Zustimmung hierzu jedoch verweigert. Da war der Verfasser erst mal ganz schön überrascht.
Der Status der archäologischen Erforschung des Varus-Grabhügels
Im Rahmen eigener Überlegungen zur Varusschlacht, die er im Almetal und im Möhnetal lokalisierte, identifizierte Friedrich Köhler die Geländeanomalie ‚Knochenberg‘ 1925 zum ersten Mal als Varus-Grabhügel. Den von F. Köhler in [„Wo war die Varusschlacht? Neue Forschungen und Entdeckungen von Friedrich Köhler“, Ruhfus Verlag Dortmund, 1925] beschriebenen archäologischen Auffälligkeiten der Geländeanomalie wurde von den zuständigen Archäologen jedoch nicht nachgegangen.
Im Jahr 2015 hat das Land Nordrhein-Westfalen w. b. die archäologische Erforschung der Geländeanomalie ‚Knochenberg‘ verhindert:
Die gescheiterte geoelektrische Vermessung des Varus-Grabhügels
A.8 Die Grabhügel der Germanen
Da auch die Germanen während der Varusschlacht Verluste erlitten, und es auf Grund der Anzahl der Toten logistisch schwierig und auf Grund der mehrtägigen Kämpfe, der darauf folgenden Plünderung des Schlachtfeldes, und des darauf folgenden mehrtägigen Heimmarsches auf Grund der einsetzenden Verwesung aus hygienischen Gründen unmöglich war, die getöteten germanischen Krieger in ihr eigenes Stammesgebiet zu transportieren und dort zu bestatten, sind sich in der Nähe befindliche germanische Grabhügel wie bereits auch von Friedrich Köhler [„Wo war die Varusschlacht? Neue Forschungen und Entdeckungen von Friedrich Köhler“, Ruhfus Verlag Dortmund, 1925] beschrieben ein weiteres wichtiges Indiz für die Lokation der Varusschlacht.
Da die meisten germanischen Krieger auf Grund der zu diesem Zeitpunkt noch sehr schlagkräftigen römischen Soldaten beim Angriff auf der Paderborner Hochfläche gestorben sein dürften, müssten an der Via Regia viele germanische Gräber zu finden sein. Tatsächlich befindet sich 5 km nördlich von Haaren direkt an der Via Regia ein germanisches Gräberfeld.
Abb. A.8-1: Germanischer Grabhügel am Frankfurter Weg nördlich von Haaren
Abb. A.8-2: Germanischer Grabhügel am Frankfurter Weg nördlich von Haaren
Auch in den anderen Kampfgebieten der Varusschlacht befinden sich germanische Grabhügelfelder, z. B. im Altenrüthner Wald:
Abb. A.8-3: Germanischer Grabhügel im Altenrüthener Wald
Abb. A.8-4: Germanischer Grabhügel auf der Anhöhe des Etteler Ortes
Einem germanischen Grabhügel könnte auch der folgende Hügel auf einem Sporn über dem Möhnetal bei Sichtigvor entsprechen:
Abb. A.8-5: Mutmaßlicher germanischer Grabhügel oberhalb des Möhnetals bei Sichtigvor
Vid. A.8-6: Mutmaßlicher germanischer Grabhügel
Der Hügel ist kreisförmig, mit einem Durchmesser von ca. 12 bis 15 m und einer Höhe von ca. 3 m. Eine Probe ergab, dass der Hügel und die Umgebung des Hügels aus unterschiedlichen Böden bestehen. Während man in der Umgebung des Hügels weißlich-graue, teilweise von rötlichen Adern durchzogene Erde vorfindet, besteht der Hügels selbst aus gelblicher Erde.
Abb. A.8-7: Erdreich des Hügels (links) und der Umgebung des Hügels (rechts)
A.9 Die Heiligen Haine der Germanen
Der römische Geschichtsschreiber Tacitus beschreibt, dass die gefangen genommenen römischen Offiziere in heiligen Hainen (also germanischen Kultstätten) unweit des Schlachtfeldes getötet wurden: „In den benachbarten Hainen standen die Altäre der Barbaren, an denen sie die Tribunen und die Centurionen der ersten Rangstufe geschlachtet hatten.“ (Tacitus, Ann. I, 61)
Da sich die Römer erst am 4. Tag der Schlacht ergeben haben, lagen die heiligen Haine demnach auch in der Nähe des Schlachtfeldes des 4. Tages am Haarweg bei Taubeneiche. Die Frage, was dieses Gebiet besonders machte und wodurch es zu einer Kultstätte der Germanen wurde, könnte das Wetterphänomen des sog. Sauerlandföhns beantworten:
„Der Sauerlandföhn ist ein Phänomen welches am Nordrand des Sauerlands auftritt. Hierbei treten im kleinen Effekte wie beim Föhn an den Alpen auf. Bei südlichen Winden strömt der Wind gegen das Siegerland, hierbei wird er gezwungen in die Höhe zu gehen. Nach dem Hauptkamm des Gebirges, welcher an der Grenze zwischen dem Sauerland und Siegen-Wittgenstein liegt, sinkt die Luft wieder ab. Aufgrund dieses Absinkens erwärmt sich die Luft und trocknet ab, hierdurch lösen sich Wolken auf oder schwächen den Regen (Lee) ab. Am Stimm Stamm wird dann ein letzter Höhenzug passiert, danach kann die Luftmasse bis in die Soester Börde absinken. Hierdurch kann sich die Luft dann noch stärker erwärmen und abtrocknen. Hierdurch entstehen nördlich des Stimm Stamm meist Wolkenlücken, während es weiter südlich bewölkt ist. Durch dieses Wetter wird es hier wesentlich wärmer als im Siegerland. Bei diesen Wetterlagen ist der Wind meist recht kräftig und auch in den Nächten schläft der Wind nur selten ein.“ (www.belecke-wetter.de)
Zur genaueren Bestimmung der Lokation der heiligen Haine muss man die Siedlungsräume der örtlichen Bevölkerung betrachten und die Distanzen berücksichtigen, die die Bevölkerung für regelmäßige kultische Handlungen zurückzulegen bereit war. Einige heilige Haine mussten also in der Nähe der Siedlungsräume liegen. Wenn man den Siedlungskern der damaligen Zeit in der fruchtbaren Hellwegbörde und die Lokation des Schlachtfeldes des 4. Tages bei Taubeneiche in Relation setzt, wäre ein möglicher Ort für einen heiligen Hain das Möhnetal genau südlich von Taubeneiche, also bei Sichtigvor. Indizien für eine Kultstätte sind hierbei die Volksburg Loermund (Kap. A.6) und der germanische Grabhügel (Kap. A.8) in unmittelbarer Nähe.
Etymologische Betrachtungen
Ein Heiligtum mit dem Hintergrund des Sauerlandföhns, also starker Windströmumgen, hätte mit einer germanischen Windgottheit in Verbindung stehen können. In diesem Zusammenhang fällt der in der Gegend mehrfach vorkommende Ortsname ‚Püsterberg‘ auf, z. B. der Püsterberg südwestlich des Schlachtfeldes des 4. Tages / nordwestlich von Warstein. Der Püsterich steht wie der Name schon sagt auch mit Luftströmungen in Verbindung und könnte ein germanischer Abgott gewesen sein.
Der alte Name von Sichtigvor ist ‚Teiplaß‘ (Sichtigvor.de | Geschichte). ‚Tei‘ ist aussprachegleich mit ‚Thij‘, der niederländischen Bezeichnung für eine Thiestätte (z. B. Thijplein, Rossum, Niederlande). Der Name ‚Teiplaß‘ könnte also auf ein Thie hindeuten, wobei ein Thie in vorchristlichen Zeiten auch kultischen Handlungen gedient hat.
A.10 Verifizierung der Theorie
Die Kampfgebiete der Varusschlacht werden heute land- und forstwirtschaftlich genutzt, sowohl Land- als auch Forstwirtschaft gefährden bzw. zerstören Objekte die von der Varusschlacht im Boden erhalten geblieben sind. Im Rahmen der Landwirtschaft werden die Objekte durch das Pflügen gefährdet, der hohe Anteil der Kalkscherben im Boden der Paderborner Hochfläche setzt die Objekte beim Pflügen hohen mechanischen Beanspruchungen aus, sie werden quasi zermalen. Im Rahmen der Forstwirtschaft gefährdet der immer größer werdende Grad der Mechanisierung die Objekte, die durch schwere Holzvollernter verursachte Bodenverdichtung zerstört Funde und Befunde. Deshalb war es geboten, mittels Stichproben die Richtigkeit der Theorie nachzuweisen, um Land- und Forstwirtschaft zu sensibilisieren, dass auf einem Bodendenkmal gewirtschaftet wird.
Günstige Orte für die Entnahme von Stichproben waren Waldgebiete, weil potentielle Bodenfunde hier noch nicht durch 1 Jahrtausend Landwirtschaft gefährdet waren. Weiterhin begünstigte ein Ort oberhalb eines Abgrundes das Auffinden potentieller Bodenfunde, weil hier wie oben beschrieben die heftigsten Angriffe zu erwarten gewesen sind. Anhand dieser Kriterien wurden 2 Stichprobengebiete ausgewählt, eines beim Nonnenbusch am Abhang unterhalb des Etteler Ortes, ein weiteres am Abhang oberhalb des Totengrundes. Wie theoretisch vorhergesagt befinden sich an diesen Orten eine hohe Anzahl von Metallobjekten im Boden, die Funddichte nimmt jeweils in Richtung des Abhangs zu:
Die gefundenen Metallobjekte sind prinzipiell in einem sehr schlechten Zustand, sie sind stark korrodiert und kaum noch magnetisch:
Abb. A.10-3: Am Totengrund gefundene Metallobjekte, links ein Ende eines Stilus
Auch auf dem Röntgenbild ließen sich nur noch annäherungsweise Strukturen erkennen:
Abb. A.10-4: Röntgenbild eines am Totengrund gefundenen Metallobjektes (Ende eines Stilus)
Und auch die Restaurierung brachte fast keine bestimmbaren Objekte hervor. Ein bestimmbares Objekt in der sehr begrenzten Stichprobenmenge ist das spatelförmig abgeflachte Ende eines Stilus, vergl. die frühkaiserzeitliche römische Stilus-Formgruppe A 12 in „Forschungen in Augst, Band 45/1, Verena Schaltenbrand Obrecht, Stilus“, S. 116 und in „Forschungen in Augst, Band 45/2, Verena Schaltenbrand Obrecht, Stilus“, S. 351:
Abb. A.10-5: Varusschlacht Fund, restauriertes abgeflachtes Ende eines Stilus, Eisen-Legierung mit Messingverzierung (höhere Auflösung)
Ein anderes bestimmbares Objekt ist ein Feuerstahl in einer Form, welche auch schon die Römer verwendeten:
Abb. A.10-6: Varusschlacht Fund, restaurierter Feuerstahl mit Pfriem und Diagenese des Lederfutterals, Eisen-Legierung (höhere Auflösung)
Weitere bestimmbare Objekte sind Fragmente eines Messers und einer Gürtelschnalle:
Abb. A.10-7: Varusschlacht Fund, restauriertes Fragment eines Messers mit Diagenese des Lederfutterals, Eisen-Legierung (höhere Auflösung)
Abb. A.10-8: Varusschlacht Fund, restaurierte Gürtelschnalle mit Dorn, Eisen-Legierung (höhere Auflösung)
Auch der Fund eines keltischen Tüllenbeils lässt sich in den Kontext der Varusschlacht einordnen. Es könnte von einem Angehörigen der keltischen Hilfstruppen der Römer verloren worden sein.
Abb. A.10-9: Varusschlacht Fund, Keltisches Tüllenbeil
Wichtiges Indiz für die Varusschlacht: Funde an mehreren Orten
Der nächste Schritt zur Verifizierung der Theorie wäre eine metallurgische Untersuchung der Fundstücke vom Totengrund und vom Nonnenbusch, gleich der wie sie in den Jahren 2017 bis 2022 bei den Fundstücken aus Kalkriese durchgeführt wurde (Bergbaumuseum Bochum: Forschungsprojekt zur Varusschlacht). Wenn die metallurgische Untersuchung zeigen würde, dass die metallurgische Signatur der Fundstücke der Kampfgebiete am Totengrund und am Nonnenbusch gleich ist (die Signatur bräuchte sich hierbei noch nicht einmal einer bestimmten Legion zuordnen lassen), würde dies zeigen, dass die Kampfgeschehnisse an beiden Orten zusammenhängen, und auf ein Marschgefecht hindeuten. Da außer der Varusschlacht keine anderen Marschgefechte aus dem römisch-germanischen Krieg bekannt sind, wäre dies ein sehr starkes Indiz dafür, dass es sich bei den Geschehnissen auf der Paderborner Hochfläche um die Varusschlacht handelt. Da sämtliche Kontaktaufnahmeversuche des Verfassers zur Zusammenarbeit von den an der Thematik beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern seit Jahren ignoriert werden, gibt sich der Verfasser keinen Illusionen hin, dass eine solche metallurgische Untersuchung in absehbarer Zukunft erfolgen könnte. Aber, sie wäre jetzt genau der richtige nächste Schritt.
In den Stichprobengebieten befinden sich zahlreiche weitere Metallobjekte im Boden. Der Verfasser rät zum Schutz der Bodendenkmäler nach wie vor zu archäologischen Untersuchungen und zu einer behutsamen Land- und Forstwirtschaft in den oben beschriebenen Kampfgebieten der Varusschlacht. Der Verfasser bemüht sich auch weiterhin um eine Erlaubnis für die von ihm geplante geoelektrische Vermessung des Varus-Grabhügels, s. Anhang A.7.
Abb. A.10-10: Vermeidbare Verwüstungen auf dem Gebiet der Varusschlacht
A.11 Reflexion in der Sagenwelt
Ein so bedeutendes Ereignis wie die Varusschlacht hat mit hoher Wahrscheinlichkeit Einzug in die germanisch-nordische Sagenwelt gehalten haben, in diesem Zusammenhang oft diskutiert wird die Gleichsetzung von Arminius und Siegfried, der den Lindwurm Fafnir tötete. Da Arminius‘ eigentlicher (germanischer) Name unbekannt ist, und es in Arminius‘ Familie viele Vornamen gibt, die mit Segi- (Sieg) beginnen, gibt es Überlegungen, dass auch Arminius‘ eigentlicher Name mit Segi- begonnen hat, dass er eventuell Segifried hieß. Der Name Arminius könnte ihm von den Römern auf Grund seiner blauen Augen gegeben worden sein, die bei den Römern als typisch für Germanen galten (Tacitus: „truces et caerulei oculi“, blaue Augen mit wildem Ausdruck), und die auch bei Arminius nicht unwahrscheinlich wahren (das Kristall Azurit (Bergblau) war bei den Römern als Armenium bekannt).
Diese Überlegungen sind aber mehr oder weniger spekulativ. Ein wirkliches Indiz für die Gleichsetzung von Arminius und Siegfried wäre es aber, wenn Charaktere und Orte der Nibelungensage mit der Varusschlacht in Verbindung gebracht werden könnten. Dies ist für den Ort des 1. Tages des Varusschlacht auf der Paderborner Hochfläche der Fall.
Wie in Kap. A.5 beschrieben fand der Überfall auf die 3 römischen Legionen südlich von Paderborn entlang der Via Regia auf der Paderborner Hochfläche statt. Entlang dieser Strecke liegen auch die Orte Brenken mit der romanischen Pfarrkirche St. Kilian und Niedermarsberg, das ehemalige Horhusen.
Der isländische Mönch Nikulas Bergsson machte eine Pilgerreise von Island über Rom ins heilige Land, die in den Jahren 1151 bis 1154 stattfand. Unterwegs schrieb er einen Reisebericht, den er an verschiedenen Stellen mit Anmerkungen zu Sagengestalten aus der nordischen Mythologie anreicherte. Über die Strecke zwischen Paderborn und Mainz schrieb er:
„Þa er .ij daga for til poddu brunna þar er byskups stoll ath Liborius kirkiu þar huilir hann. Þá er .iiij daga för til Meginzo-borgar, þar í milli er þorp, er Horus heitir, annað heitir Kiliandur, og þar er Gnita heiður, er Sigurður vó að Fáfni.“
„Dann zwei Tagreisen bis Paderborn. Hier ist der Bischofssitz in der Kirche des Hl. Liborius, wo sich auch die Reliquien des Heiligen finden. Dann sind es vier Tage bis nach Mainz. Zwischen diesen beiden Orten liegt ein Dorf namens Horus. Ein anderes heißt Kiliandur und dort ist die Gnitaheide, wo Sigurd den Fafnir tötete.“
Die Gnitaheide, der Ort wo Siegfried den Drachen bzw. Lindwurm Fafnir tötete, könnte also mit Brenken (St. Kilian) = Kiliandur und Horhusen = Horus mit dem Ort des Hinterhaltes für die Varus-Legionen übereinstimmen. Wenn nun aber Siegfried und Arminus gleichzusetzen sind, müsste der Lindwurm auch Arminius‘ Gegner die Römer umschreiben, ebenso müsste die Gnitaheide die Paderborner Hochfläche umschreiben.
Gnitaheide
‚Gnita‘ bedeutet in altnordischen Sprachen so viel wie ‚Brocken‘ oder ‚Scherbe‘ (Altnordisches etymologisches Wörterbuch), so dass man Gnitaheide mit Scherbenebene übersetzen kann. Wie in Kap. A.4 beschrieben trifft diese Beschreibung auf die Paderborner Hochfläche zu, da bei landwirtschaftlicher Nutzung Kalk-Verwitterungsmaterial in der Form von Kalkscherben an die Erdoberfläche gefördert wird. Landwirtschaft ist auf der Paderborner Hochfläche ab dem frühen Mittelalter belegt, Haaren als bäuerliche Siedlung wird erstmals im Jahr 975 erwähnt. Zur Zeit der Pilgerreise von Nikulas Bergsson waren also schon Teile der Paderborner Hochfläche gerodet und landwirtschaftlich genutzt, aufgrund der vielen Kalkscherben stellte sich die Paderborner Hochfläche Nikulas Bergsson als Gnitaheide (Scherbenebene) dar.
Abb. A.11-1: Kalkscherben auf der Paderborner Hochfläche auf einem Feld bei Borchen (Wikipedia), altnordische Umschreibung Gnitaheide mit der Bedeutung ‚Scherbenebene‘ – ludger1961, Kalkscherben auf der Paderborner Hochfläche bei Borchen 20071201, CC BY-SA 3.0
Lindwurm
Angegriffen wurde während der Varusschlacht eine 15 bis 20 km lange römische Marschkolonne. Bei einer römischen Marschkolonne fielen bei der Durchschnittsgröße eines römischen Legionärs von 160 cm vor allem die 80 cm mal 120 cm großen Schilde (Scutum) auf.
Abb. A.11-2: Römischer Schild (Scutum)
Ob die Germanen beeindruckt oder belustigt reagiert haben wenn Tausende von Schilden in Reih und Glied an ihnen vorbeigetragen wurden sei dahingestellt, irgendwie haben sie aber darauf reagiert, und diesen Anblick haben sie dann auch benannt.
Wenn sich bei zähfließendem Verkehr oder bei einem Stau Auto an Auto reihen, wird dieses auf Grund der Aneinanderreihung der vielen Metallkarosserien umgangssprachlich als ‚Blechschlange‘ bezeichnet.
Abb. A.11-3: Stau, umgangssprachliche Umschreibung Blechschlange
In gleicher Weise könnte die Aneinanderreihung der vielen Schilde in einer römischen Marschkolonne von den Germanen als ‚Schildschlange‘ bezeichnet worden sein.
Das germanische Wort für ‚Schild‘ war linta, da Schilde oft aus dem weichen und elastischen Lindenholz gefertigt wurden, ein germanisches Wort für ‚Schlange‘ war wurma, s. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Eine römische Marschkolonne bzw. Schildschlange könnte von den Germanen also als Lintwurm bezeichnet worden sein, was auch der althochdeutschen Schreibweise für Lindwurm entspricht.
Abb. A.11-4: Römische Marschkolonne, germanische Umschreibung Lindwurm mit der Bedeutung ‚Schildschlange‘
Im Herbst des Jahres 9 wurde dann auch ein gigantischer Lindwurm angegriffen, und dieser Vorgang wurde nachher in der Sagenwelt verarbeitet. Nach einem Jahrtausend konnte sich dann aber niemand mehr vorstellen, was ein Lindwurm in der Bedeutung ‚Schildschlange‘ ist, und zur Zeit der Niederschrift des Nibelungenliedes war die Bedeutung für ‚Lindwurm‘ dann auf Grund der anderen Bedeutung von lint, Schlange, und der sich damit ergebenden Tautologie Lindwurm = Schlangenschlange in die eines Ungeheuers/Drachen übergegangen.
Was war dann aber das eigentliche germanische Wort für ‚Drachen‘? Wenn man sich die Abbildungen eines Lindwurms anschaut sieht man, dass der Lindwurm fast immer mit großen Pranken bzw. Tatzen abgebildet, was einer Schlange nicht zugeordnet werden kann. Der Begriff Tatzenwurm (‚Tatzenschlange‘) wäre also sehr viel zutreffender, mit dem Begriff Tatzelwurm wird auch heute noch im Alpenraum ein kleiner Drachen bezeichnet (Wikipedia: Tatzelwurm).